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VUF
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VUF is on a distinguished road

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Datum: 30.01.2003
Uhrzeit: 13:41
ID: 1198



Qualität ist messbar! #5 (Permalink)
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Die Qualität eines Bauwerks ist abhängig vom Standpunkt des Einzelnen. Der Investor will minimale Investition mit maximaler Rendite, der Architekt will berühmt oder reich oder beides werden, der Häuslebauer will ein Satteldach und einen Erker, die Nachbarn wollen ihre Ruhe.

Das ist dann alles erst mal sehr subjektiv, hat aber mit Architektur überhaupt nichts zu tun!

Architektur hat nicht so sehr viele Themen, mit denen sie sich auseinanderzusetzen hätte. Aber Architektur ist optimistisch - wenn man nicht glaubte, daß es eine (bessere) Zukunft gibt, wozu sollte man dann noch bauen ? Architektur ist nicht dazu da, sich damit zu begnügen, Moden, Dogmen und -ismen zu folgen oder Zustände zu konstatieren. Dafür ist sie im gebauten Ergebnis zu langlebig. Architektur ist aber auch Ausdruck unserer Zivilisation (nicht KULTUR) und Wertvorstellungen, nicht jedoch unseres technischen Vermögens. Technik ist ein Mittel, kein Selbstzweck. Viel Technik macht noch keine Architektur. Architektur hat Funktionen zu erfüllen die über Schutz vor Regen, Wind, Kälte, Hitze, Lärm und unerwünschten Einblicken hinausgeht - Funktionen, die auf kleinstem Raum auch ein Wohnwagen erfüllen würde. Architektur ist orts-, klima- und benutzergebunden im Prozess von Entstehen, Benutzung und Verfall. Es fängt bei der menschlichen Proportionierung der Teile an, und führt über Komposition, Material- und Funktionsgerechtigkeit zum Ästhetik- und Repräsentationsbedürfnis im Kontext des Bestehenden.

"...Architektur als Thema der Architektur..: Tragen und Lasten, Schwerkraft und deren Überwindung, Masse und Transparenz, Umschließung und Öffnung, Schutz und Preisgabe, Konzentration und Erweiterung, Sparsamkeit und Reichtum, Schatten und Licht, Kühle und Wärme, Stille und Klang, die Identität eine geprägten Raumes, der geduldige Umgang mit dem, was da ist, an den Orten und in den Köpfen." (aus: Wolfgang Pehnt; "Das Ende der Zuversicht"; S.91)

Vielleicht ist es mit der Architektur so, wie mit Schmuck: der Materialwert an sich sagt noch nichts aus über den Wert (nicht PREIS) der Brosche...

Ein sehr schönes Buch zum Thema "Qualität" ist: "Zen oder die Kunst, ein Motorrad zu warten".

Viel Erfolg !

(einen Tag später)

Die Frage nach Qualitätskriterien von Architektur ist mir über die Bettdecke gelaufen. Hier ist das, was mir noch dazu eingefallen ist. Vielleicht wird dadurch auch verständlich, was den Unterschied zwischen Architektur und Ingenieursbau ausmacht...


Größe

Die Maximalgröße eines Bauwerkes ergibt sich aus den natürlichen Beschränkungen der architektonisch richtig verwendeten Materialien (s. ?Materialgerechtigkeit?)


Raumgrenzen

Die Nichtabgrenzung eines Raumes führt zu seiner Auflösung.


Plastizität

Architektur ist dreidimensional. Flache Fassaden gehören auf´s Papier, nicht in die gebaute Umwelt.


Der Faktor Zeit

Architektur ist vierdimensional. Sie besteht im heute, morgen und übermorgen. Eine Fassade ist nur einmal neu. Sie bekommt entweder Patina oder sie wird schmutzig.


Materialgerechtigkeit

Man fängt bei der Materialwahl am ?unteren? Ende der zur Verfügung stehenden Auswahl an. Beton ist bestens geeignet, um hohen Druck aufzunehmen oder um in plastisch sehr bewegte Formen gegossen zu werden. Eine gerade Wand, die normalen Druck aufzunehmen hat, aus Beton zu erstellen, ist Unsinn.
Stahl ist dazu da, Zug aufzunehmen. Eine Stütze aus Stahl ist Unsinn. Eine Bogenbrücke aus Stahl ist Unsinn. Der Eiffel-Turm ist Unsinn.
Ähnlich verhält es sich mit Tragwerken, die aus ideologischen oder ästhetischen Gründen in Stahl erstellt werden, obwohl Holz für die zu überbrückenden Spannweiten ausreichen würde. Holz ist das einzige natürlich vorkommende Material, das in der Lage ist Druck UND Zug aufzunehmen. Laminat ist kein Holz.


Proportionen

Der Mensch und seine Proportionen sind das Maß für eine menschengerechte Architektur. Der Mensch im privaten Umfeld ist der Major, im öffentlichen Umfeld der Minor. (Ohne metaphysisch werden zu wollen: das öffentliche Umfeld ist der Minor einer höheren Macht...)
Der Goldene Schnitt entspricht in etwa einem Verhältnis von 1:1,618.
Dies wiederum entspricht annähernd der Fibonacci-Folge von 1:2:3:5:8:13:21:34.....
Menschen gehen aufrecht.


Bauteile

Das Tragende sollte im richtigen Verhältnis zum Getragenen stehen. Statisch ausreichend ist eben nur statisch ausreichend.

Eine Stahltür in einer Glaswand ist lächerlich.
Eine Glastür ist lächerlich.


Belichtung

Die Fensterflächen sollten 20% der Grundfläche eines Raumes entsprechen. Dabei ist ein Raum ausreichend natürlich belichtet, wenn die Raumtiefe höchstens das 1,5-fache der Fensteroberkante beträgt. Tiefer gelegene Räume benötigen (gegenüber gelegene Bebauung!) höhere Fenster. Man sollte in der Mitte eines Raumes sitzend den Himmel sehen können. Die ausschließlich künstliche Beleuchtung eines Raumes muss durch seine Funktion gerechtfertigt sein (Abstellräume, besondere Laboratorien, etc).


Fenster

Durch Fenster kann man heraus- und hineinsehen.
Fenster in Badezimmern sind nicht das Gleiche wie Fenster in Wohn- oder Schlafräumen. Das bezieht sich besonders auf Position und Brüstungshöhen.
Fenster im Erdgeschoss haben Brüstungen min. 200cm über OKGehsteig.
Auch Keller haben Fenster.
Türfenster müssen irgendwo hin führen.
Fenster ohne Sprossen sind leere Augenhöhlen und sehen aus wie ausgebombt.


Assoziationen

?Sieht aus wie ....?
Architektur provoziert keine Spitznamen.

Hilft das weiter ?

Geändert von VUF (31.01.2003 um 15:16 Uhr).

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