Seit ich registriert bin brennt es mir in den Fingern, mich zu diesem Thema zu äußern, ich habe mir jedoch bis heute Zurückhaltung auferlegt, zumal es seit dem letzten Beitrag leider nicht zu einem offenen Diskurs gekommen ist und die wenigen Einzelbeiträge somit zwangsläufig polarisierenden Charakter bekommen.
Die vielen Hits, die zu diesem Thema gezählt werden, lassen auf die Aktualität der Thematik schließen. In einem offenen Forum sollten Beiträge, die durch Oberflächlichkeit und Widersprüchlichkeit zu Verunsicherungen führen können, nicht postulierend stehen bleiben müssen.
Soweit zu meinem Bedürfnis, mich hier doch noch zu äußern.
Die ursprünglich gestellte Frage zielt nach objektiven Kriterien für ästhetische und funktionale Qualität von Architekturen in Gebautem und Entwürfen, die argumentativ entwickelt werden können und damit von "Geschmacksvorlieben" getrennt betrachtet werden müssen, bzw. (..in der Lehre...!!) sollten.
Eine Antwort auf diese komplexe Fragestellung kann nicht in der Betrachtung oder gar im Vergleich von "-ismen" gefunden werden, die sowohl in der Formfindung und der damit einhergehenden konstruktiven Lösung, als auch in der Materialwahl immer im epochalen Kontext gesehen werden wollen. Dies umso weniger, da "-ismen" sich zeitgleich epochal entwickelt haben und jeweils hervorragende Lösungen zu vergleichbaren Aufgaben gefunden haben.
Das Werk "Kahns" kann mit dem von "Aalto" verglichen werden, für beide OEvres werden sich Argumente für eine hohe ästhetische bzw. funktionale Qualität finden lassen. Krasser noch fällt z.B. ein Vergleich von Michael Graves`"Portland Building" und Fosters´"Honkong - Shanghai Bank", beide zeitgleich entwickelt und entstanden, aus.
Sucht man also nach Kriterien, die sich argumentativ erschließen lassen, so sind sie (-zunächst-) nicht in der Formen-, Konstruktions- oder der Materialwahl zu finden.
Das Material ist unschuldig. Die Form ist unschuldig. Man neigt mit Laotse und den Taoisten zu sprechen : "Das Tao ist formlos und vage. Es ist verborgen, geheimnisvoll und dunkel. Es ist der Ursprung aller Dinge". Um nicht abzuschweifen: Entwurfsansätze bei Wright beginnen mit Bezügen zum Tao.
Kriterien finden sich ebenso wenig im Ausschlußverfahren nach Neuffert : Eine Treppe darf nur für soundso steil sein, um "objektiv" zu funktionieren, es gibt genügend Treppen, die bei "üblichen" Steigungsverhältnissen nicht funktionieren, da die geometrischen Abhängigkeiten zwischen Vorderkante Auftritt und Geländer im Treppenauge nicht detailiert wurden. Und es gibt Treppen, die so steil sind und trotzdem funktionieren und ästhetisch keine Zweifel offen lassen.
Objektivierbare Kriterien für ästhetische und funktionale Qualitäten lassen sich durch eine interdisziplinäre Betrachtungsweise aller jeweils zur Frage gestellten Komponenten einer Aufgabe finden. Diese Fragen müssen bei jeder Aufgabe neu gestellt werden. Der Entwurf einer Kegelbahn stellt andere Fragen als der Entwurf einer Taufkapelle.
Die Antworten finden sich in den Bedingungen, die sich aus den jeweiligen Lösungsmöglichkeiten ergeben. Die Bedingungen interdisziplinär zu hinterfragen bedeutet, ihnen ungeachtet der reinen Funktionalität und einem rein ästhetischen Ausdruck Anworten aus den Bereichen der Psychologie, der Wahrnehmung und des Empfindens, der Soziologie, der Naturwissenschaften, der Proportionen und anderer Maße, der Rationalität und dem Irrationalen bis hin zur Utopie zu geben. Das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten mit ihren jeweiligen Bezügen zueinander, die sich bedingen, die abgefragt und hinterleuchtet wurden und wo die Antworten einer Argumentation standhalten, läßt letztendlich eine Aussage über die Qualität eines Entwurfs oder eines Gebäudes zu.
Eine Kegelbahn muß keinen transzendenten, sakralen Charakter besitzen, aber was das Beleuchtungskonzept, der Höhenversprung in der Decke und der Belagwechsel zwischen Spielbahn und Aufenthaltszone, die gestalterischen Maßnahmen zur begleitenden Raumakkustik für den Entwurf aussagen, und wie die Lösungen der Komponenten zusammenspielen, läßt eine Urteil über die Qualität zu. Ebenso bei der Taufkapelle: erfüllt sie den Anspruch nach Transzendenz, nach Sakralem in der Form- und Materialwahl durch Sichtbetonwände und ist dies argumentiv nachvollziehbar, so kann sie von hoher funktionaler und ästhetischer Qualität sein. Ob ich mein Kind dort taufen lassen würde, ist eine ganz andere Frage.
Und so ist es mit allem !
Die Gebäudelehre kann hier nur ansatzweise Lösungen vorstellen, die Baukonstruktionslehre, Baustofflehre und Tragwerkslehre bleiben "Lehren", die mit Leben gefüllt werden wollen. Es bleibt jedem Entwerfer, jedem Studierenden überlassen, wie weit er seinen Horizont, seinen Erfahrungsschatz vergrößert. Er kann jede Aufgabe mit einem "-ismus" totschlagen, und das kann zu qualitativ guten Ergebnissen führen, er kann aber zum ständigen Sucher und Zweifler werden, ganz nach Leonardo da Vinci : "Wer aufhört, besser zu werden, hat schon aufgehört, gut zu sein."
Für die Sucher und Zweifler unter Euch noch ein paar Links :
www.meisenheimer.de
Meisenheimer lehrt wohl auch Gebäudelehre und stellt hier seine Vorlesungsreihen zu den verschiedensten interdisziplinären Themen mit vielen Literaturhinweisen vor.
www.gbl.tuwien.ac.at
Ergänzend zu der Gebäudekunde an Eurer Hochschule mit interdisziplänerne Themen.
www.tg.ethz.ch
Für alle, die bezüglich Material und so weiter sich noch weiterbilden mögen.
www.aisthesis.de/index
Hier werden Bücher geführt, die mit zur allgemeinen Begrifferklärung bezüglich interdisziplinärer Themen beitragen können.
Nicht zuletzt gibt es noch ein ganz interessantes Heft von werk, bauen+wohnen ( 7/8-2002 ) über die "Zeitlosigkeit" in dem der Frage nach dem Zeitlosen in der Kunst und Architektur nachgegangen wird, dem Zeitlosen wird ja bekannlticherweise auch eine hohe Qualität nachgesagt.
Im Übrigen... Grüße aus dem wilden Süden