Liebe Kollegen,
freilich ist gerade die Elitarismus-Frage diejenige, die sich alle von uns schon einmal gestellt haben. Ich erinnere mich noch sehr gut an meine erste Vorlesung, ich dachte ich säße im falschen Film. Das hat sich inzwischen relativiert. Die Frage ist jedoch eher: wo fängt Architektur an, elitär und für die breite Masse unverständlich zu werden? War das Berliner Schloß (BS
) früher nicht auch elitär, kein Objekt des „gemeinen Volkes“, ebenso die noble Bebauung am Dresdner Neumarkt? Ist es so, daß die Zeit und die geschichtliche Betrachtung von Architektur popularisieren, de-elitarisieren? Es scheint fast so, denn etwas überkommenes gehört zwangsweise zur Vergangenheit aller. Insofern stellt sich die eingangs erwähnte E-Frage für uns nicht in diesem Maße. Angemerkt sei auch daß faktisch im Schulsystem nicht architektonisch gebildet wird. Ich verweise auf Sack, Manfred: Von der Utopie, dem guten Geschmack und der Kultur des Bauherrn oder Wie entsteht gute Architektur? , Solothurn o.J. Wo wird architektonisch, und allgemein ästhetisch erzogen? Manche zögern beim Auto- mehr als beim Hauskauf.
Das ist selbstredend nicht auf die Architektur beschränkt. Der Kreis der Konsumenten neuer Musik (nein, nicht „Superstars“) wie z.B. W. Rihm ist sehr beschränkt, in der bildenden Kunst sieht es nicht viel anders aus. Das Fertighaus auf der grünen Wiese und das BS (nicht an sich, sondern im aktuellen Kontext als Fassaden-Fälschung) sind damit die architektonischen Patrick Lindners etc etc. E-Architektur und U-Architektur? Angesichts der Arbeitsmarktsituation ist diese Unterscheidung fast schon Selbstmord, aber sie scheint mir den realen Gegebenheiten zu entsprechen. Der Konflikt dieser Situation ist mir bewußt, natürlich auch das Problem des Aufdrängens und der Vermittelbarkeit. Architekturtheoretische Schriften über die Jahrhunderte verteilt heben immer wieder die Relevanz unseres Standes hervor.
Zum Nationalempfinden des BS: Ich denke das ist nur bei einem kleinen Kreis der Unterstützer das ausschlaggebende Argument. Bei den meisten ist es ein „ästhetisches“. Interessant auch der Meinungsumschwung im Laufe der Zeit. Der Palast der Republik hatte einmal eine stabile Mehrheit in Umfragen. Ob das nur der Ostalgie-Bonus war? Rennen Hunderttausende in den Reichstag wegen des schwülen Neobarock oder Fosters Kuppel? Die anfängliche Euphorie über den Potsdamer Platz (die sich verständlicherweise relativiert hat)? Gehry in Bilbao ist auch populär, auch die neueste Pinakothek hier in München. Es ist vielmehr eine Verkaufsfrage: Wer das Bauchgefühl trifft oder laut genug schreit hat gewonnen.
Viele Grüße,
jan
P.S. War leider eine Woche nicht da, sonst hätt ich früher geschrieben.