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TomHansche
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TomHansche: Offline


TomHansche is on a distinguished road

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Datum: 11.06.2003
Uhrzeit: 05:53
ID: 2018



RE: Objektivierbare Qualitätskriterien?! #29 (Permalink)
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Als schlichter Architekturkonsument bzw. als potentieller Architekturbanause (ich bin kein Architekt und werde auch keiner) biete ich hiermit folgenden Senf feil:

Antwort A) : Man lese ordentlich viel Artikel und Bücher von Manfred Sack.

Begründung: Ich habe bislang bei (fast) jedem seiner Schriften den Eindruck gewonnen, dass er nicht nur flott schreibt, sondern seine Architekturkritiken weitestgehend auf objektiven Kriterien gründet und diese dann auch offen legt.

Antwort B) : Fallstudien/Exempel guten und schlechten Bauens (nebst Diskkussion).

Begründung: Nach einem leidlich heftigen Streitgespräch mit einer Architekturstudentin (Stichworte: Historismus, Schmuckelemente, Disney-tum, Formalismus, Kitsch) kamen ich und meine Kontrahentin schnell darauf, dass konkrete Beispiele oft mehr taugen als schnell dahin geworfene Begriffe. Oder anders gesagt: Achitektur und ihre qualitative Bewertung ist eine reichlich komplexe Sache, bei der die Orientierung an Beispielen hilfreich sein kann.

Vorschlag: Als Exempel für "gute" Architektur: Münchner Olympiastadium, Schulbauten und Landhäuser von Fritz Schumacher, Harburger Uni-Gelände, "Potzdamer Platz", Teile der Dulsberg-Siedlung in Hamburg und ihre vorbildliche Durchgrünung. Exempel für "schlechte" Architektur: Die Neubauten in der Friedrichstraße in Berlin, seelenlose Wohnsilos, viele moderne (?) Innenstädte mit ihren austauschbar-öden Gestaltungen.

Antwort C) : (Ein Versuch von mir)

1. Bauqualität
1.1. Souveräner Umgang mit Baumaterialien
1.2. Nachhaltigkeit/Stabilität
1.3. Erfüllung ökologischer Kriterien
1.4. Bauausführung
usw. usf.

2. Funktionalität
2.1. Funktionalität für Nutzer
2.1.1. Flexibilität der Nutzung
2.1.2. Angemessene Durchlichtung
2.1.3. Schönheit der Innenraumgestaltung für die Nutzer
2.1.4. Zweckgemäßheit
usw. usf.
2.2. Funktionalität für Investor(en)
2.2.1. Geringe Unterhaltungskosten der Bausache
2.2.2. Repräsentativ-Funktion als Attraktion für pot. Mieter
2.2.3. Gutes Preis/Leistungs-Verhältnis
2.2.4. Zeitdauer der Errichtung (kann m.E. mit Entwurf zusammen hängen)
usw. usf.
2.3. Funktionalität für externe Architekturnutzer (z.B. Anwohner)
(dazu gehört u.a. auch die Schönheit und Einpassung in die Umgebung)

3. Schönheit (möglichst zeitlos...)
3.1. Verzicht auf überflüssige Gestaltungselemente (was aber ist das?)
3.2. Stilvolle Verwendung angemessener Schmuckelemente (s.o.)
3.3. Durchgrünung der Innen- und Außen-Anlage
3.4. Gute Rhythmik bei horizontalen und vertikalen Gestaltungselementen
3.5. Originelle bzw. abwechslungsreiche Gestaltung
3.6. Messbare Schönheit (ermittelbar z.B. mit Befragungen) für Bauträger, Nutzer und Anwohner oder (wissenschaftlich fragwürdiger) für Juroren in Achitekturwettbewerben oder (noch fragwürdiger) für Bauverwaltungen oder Politiker

Anmerkung: Genauso wie es in der Musik sogenannte "Hörgewohnheiten" gibt, die die ästhetische Wertung prägen (und teils Moden bzw. schnellen Wandlungen unterworfen sind), gibt es Architektur-Rezeptionsgewohnheiten, die u.a. regional und durch die Profession geprägt sind. Damit will ich sagen, dass der bereits der regelmäßige Umgang mit Architektur deren Wahrnehmung prägt. Ein Architekt wird daher schnell andere (höherwertige?) Maßstäbe entwickeln als die übrigen Architekturkonsumenten, welche sich ggf. ernsthaft für Krüppelwalmdächer, Sprossenfenster, verschnörkelten Fassaden oder gar Fachwerke begeistern, wo der Architekturprofi i.d.R. abstraktere Ausdrucksformen bevorzugt.

4. Soziohumane Dimension
4.1. Einbettung in die Umgebung / lokale Tradition
4.2. Wirkung für die Lebensqualität eines Quartiers
4.3. Wohlfühl-Wirkung auf Nutzer und Anwohner. Dazu zählt z.B. "Freundlichkeit", "Strenge" vs. "Verspieltheit" und, sicher auch, "Gemütlichkeit"
usw. usf.

Anmerkung: Den "Wohlfühlfaktor" halte ich für einen immensen und verkannten Wert in der Architektur. Ich halte diesen Faktor für so bedeutsam, dass ich unter diesem Aspekt sogar Fachwerke an modernen Bauten hinzunehmen bereit wäre. (ähm, hier bin ich mir selbst zu tolerant. Ich kann Fachwerke nicht ertragen)

Zum Schluss ein Aspekt zur Kriterienbalance: Eine interessante technoide Gestaltung (z.B. Hongkong&Shanghai-Bank von Norman Foster) kann anderweitige Mängel mehr als aufwiegen. Und: Viele in Architekturmagazinen gefeierte Corbusierbauten in Berlin sind baufälliger, nahezu unbewohnbarer Schrott, was m.E. nicht nur eine Frage der Bauausführung ist. So gesehen, bleibt es immer schwierig, objektiv über Architektur zu urteilen. Jedes Kriterien und jede ästhetische Theorie stellen nur einen kleinen Teil eines Gesamturteils dar.

Letzlicher Maßstab für Architektur ist m.E. immer der Mensch. Die bewusst bombastisch-monströsen Architekturformen der Naziherrschaft (und anderen totalitären Regimen!), monoton-graue Wohnwürfel sowie auf Eindruck getrimmte, brutale formale Übertreibungen moderner (?) Investorenbauten empfinde ich im Trend als unmenschlich bzw. gegen das menschliche Maß verstoßend. Achitektur, die den Menschen einschüchtert finde ich im Grundsatz "schlecht". Architektur soll dazu dienen, dass sich Menschen wohl fühlen können. Insofern muss meiner Meinung nach gute Architektur gleichermaßen utopisch wie traditionell sein.
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Der Mensch ist Maß aller Dinge

Geändert von TomHansche (02.08.2003 um 08:44 Uhr).

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