Als Ergänzung zu meinem Versuch einer systematischen Antwort auf das Threadthema liefere ich hiermit Punkt 4.4 nach:
4.4. Beitrag zur positiven Identitätsstiftung für Nutzer, Anwohner, Quartier, Stadt u.ä.
Auch wenn sich "meine" Kriteriensystematik im Grunde genommen recht stark an Vitruv orientiert (was ich für keine Schande halte) möchte anmerken, dass ich die Kriteriensystematik nicht grundlos gestaltet habe. Sie steigert sich von der Bauqualität (Punkt 1) über die funktionale Qualität (Punkt 2), dann über die Schönheit (Punkt 3) hin zur soziohumanen Qualität (Punkt 4), der m.E. höchsten Form von Architekturqualität.
Es ärgert mich vor diesem Hintergrund (auch wenn ich Architekturlaie bin), dass mir das Stichwort "Identität" nicht gleich eingefallen ist, denn ich halte es für eine sehr hohe, m.E. zu selten erreichte, Form von Architekturqualität, wenn ein Bauwerk im positiven Sinn Identität stiftet. Damit meine ich nur am Rande die Qualität eines Denkmals oder einer Sehenswürdigkeit (was ja besonders identitätsstiftend wäre), sondern ich meine vor allem die spezifische Qualität, dass Bewohner mit Freude und in Unterscheidung zu anderen Orten sagen können: "Mein Quartier", "mein Kiez" oder "unser Haus".
Möglicherweise ist das Identitätskriterium neben dem "Wohlfühlen" von Nutzern und Anwohnern (Punkt 4.3.) sogar geeignet, die prinzipielle Geisteshaltung eines Architekten an entscheidender Stelle auf den Punkt zu bringen:
Wem dient die Architektur?
Mitunter kann man - besonders wenn man theoretische Debatten verfolgt -den Eindruck gewinnen, dass manche Architekten oder Architekturtheoretiker nur die eigene Identität im Auge haben.
Bei manchen jungen Architekten wiederum habe ich den Eindruck, dass diese aus Angst vor professionellem Spott bzw. aus Ehrfurcht vor Architekturdogmen auf die eigene Handschrift verzichten oder darauf, ein Bauwerk gemäß den Interessen von Nutzern und Anwohnern zu gestalten.
Da die Diskussionen zum Boardthread im Augenblick etwas lahm sind, erlaube ich mir die Frechheit, zum Abschluss etwas polemischer zu werden und eine (reichlich) überspitzte These zur Diskussion zu stellen:
Wenn die akademische Architekturausbildung dazu beiträgt, dass Architekten Angst vor Schönheit, Angst vor Originalität oder gar Angst vor einer Architektur entwickeln, die sich radikal an den Interessen der Nutzer und Anwohner orientiert, dann wäre es angebrachter, Angst vor der akademischen Architekturausbildung zu entwickeln.