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Archimedes, ich möchte etwas ausführlicher antworten.
Zuerst: ich habe nachgeschaut. Mein Chef hat nur wenige Jahre mehr Berufserfahrung als Statiker als ich (das Büro hat einen anderen Schwerpunkt). Jetzt wird mir einiges klar - ich hatte gedacht, er hätte mehr. Leider ist er selber der Meinung, ein genialer Ingenieur zu sein. Ich hab selber grad genug Berufserfahrung, um ein wenig schneller zu merken, wer Ahnung hat und wer nicht. Er war zum Beispiel überrascht, als ich ihn darauf hinwies, dass beim Durchlaufträger die Querkraft nicht überall der Auflagerkraft entspricht - 1. Semester Baumechanik...
"Du bist ja selbst der Meinung, dass es stehen bleibt" - Meinungen und Gefühle sind in der Statik (vielleicht im Gegensatz zur Architektur) ein schwaches Argument. Was ich mit dem Satz sagen wollte: Mir sind bei dem Projekt keine groben Schwachpunkte ins Auge gesprungen, die zum sofortigen Einsturz führen würden. Würde ich es bauen (müssen), würde ich es zuerst komplett sauber durchrechnen und sicher sein wollen, dass ich die Lastabtragung, sowohl horizontal als auch vertikal, vollständig von oben bis ins Fundament verstehe. So wurde das im alten Büro gehandhabt und das finde ich auch vernünftig.
Selbst wenn der Chef Glück hat und das Gebäude sozusagen aus Gewohnheit stehen bleibt, bleibt immer noch das Risiko von Gebrauchstauglichkeitsschäden wie zum Beispiel Risse durch unerwartete Lastumlagerungen. Dazu meinte er nur, "tun wir halt mehr Bewehrung rein" ähm was? (soviel dann auch zur Energieeffizienz)
Dazu kommt, dass er gar nicht wissen kann, ob sein bewährtes Aussteifungssystem Marke "there, I fixed it" funktioniert, da es seit Beginn seiner Laufbahn hier kein Bemessungserdbeben gegeben hat. Könnte also immer noch sein, dass bei einem großen Erdbeben in der Zukunft alle seine Gebäude starke Schäden davontragen werden. Und bis dahin baut er fröhlich so weiter, denn "das haben wir immer so gemacht".
Wir sind nicht in Deutschland und hier gibt es im Normalfall keinen Prüfstatiker, was meiner Meinung nach ein Vorteil ist, da man sich dann nicht drauf ausruhen kann, dass der Prüfer die Fehler schon merken wird. In diesem Fall wäre es interessant, was der sagen würde.
Dein Argument, dass wir heutzutage mit zu hohen Sicherheitsfaktoren rechnen und daher es schon "irgendwie" eh halten wird, erinnert mich an Kommentare auf der Baustelle: "Frau IaB, was wollen Sie denn, das muss doch halten, ist doch Beton"... Die Sicherheitsfaktoren sind nicht dazu da, dermaßen ungenaue Modelle aufzunehmen. Sie bilden Unsicherheiten der Materialien und Ungenauigkeiten auf dem Bau und natürlich gewisse Modellungenauigkeiten bei der Berechnung ab, aber wenn deine statische Berechnung völlig daneben liegt, hilft dir auch kein Sicherheitsfaktor mehr. Eine doppelte oder sogar dreifache Sicherheit ist da schnell verbraucht.
Wenn ich daran denke, wie viele Ingenieure da draußen nach solchen Grundsätzen rechnen, gruselts mich. |