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jcr is on a distinguished road

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Datum: 22.02.2003
Uhrzeit: 21:39
ID: 1293



"Wiederaufbau" 2003?

#1 (Permalink)
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Mich würde ja mal eure Meinung interessieren zu den diversen diskutierten Neubauprojekten wie Berliner Schloß, und, in letzter Zeit wieder, Dresdener Neumarkt.
Kleine meinungsbildende Verweise:
neumarkt-dresden.de/
gaestebuch.webtropia.com/kantschew/

Volkes Wille? Disneyland? Geschickte Vermarktung? Geschichtliche Notwendigkeit? Ende der "Moderne" (v.a. Verweis #2) und beginnender Neo-Neo-Barock und -Klassizismus?


grüße
j.

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club_of_rome is on a distinguished road

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Datum: 23.02.2003
Uhrzeit: 00:57
ID: 1295



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wiederaufbau ist kein schritt nach vorn!

das mit dem stadtschloß in berlin ist der totale unsinn und soweit ich weiß auch nicht unbedingt des volkes wille. aber das ist sowieso ein heikles thema, denn so viel anderes müßte dafür weichen. bekanntestes beispiel ist da ja der palast der republik. ok ok, ich gebs zu er ist nicht gerade ein optisches schmankerl im stadtbild, aber er hat auch einen anspruch auf erhaltung aus denkmalhistorischen gründen. ich weiß jetzt gar nicht, ob sie es öffentlich genehmigt haben ihn abzureißen, aber wer mal in letzter zeit da war, hat gesehen, das sie ihn totsanieren und einfach abbauen.

da gibt es soviele andere gebäude die noch stehen und die dringend saniert werden sollten und denen fällt nix besseres ein, als längst vergangene sachen wieder auf zu bauen (kirche in leipzig, stadtschloß, frauenkirche...)

club of rome

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Datum: 23.02.2003
Uhrzeit: 19:15
ID: 1300



Zurück zur Monarchie? #3 (Permalink)
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Ja, man hat den Eindruck, die Stadtväter würden am liebsten auch wieder einen Landesherrscher auf den Tron setzten ;-). Die Umstände, unten denen das Schloss damals abgerissen wurde - oder dessen Reste -, mögen falsch gewesen sein, aber sie sind Teil einer historischen Entscheidung, die man doch jetzt nicht einfach rückgängig machen kann. Dann muß man auch damit leben und was zeitgemäßes mit dem Standort anfangen.
Welches Symbol soll das eigentlich ausstrahlen? Wir können doch nicht Gebäude mit einem solchen Symbolwert ernsthaft mitten in unsere demokratische Mitte setzen!? Am besten kommt dann da noch ein Teil des Parlamentes rein! Das mit dem Palast der Republik halte ich auch für fragwürdig. Die haben ihn jetzt wohl erstmal vom Asbest befreit, aber soweit mir bekannt ist, soll er danach abgerissen werden. Ich finde, man tritt die Geschichte des Ostteils der Stadt auch ganz schön mit Füßen. Und zwar in einer ziemlich überheblichen und auch diktatorischen Art, davon ausgehend, dass sowieso alles aus dem Westen Kommende besser sei. Natürlich ist das Gebäude scheußlich und auch städtebaulich ein ausgesprochenes Problem, aber wenn man es schon abschaffen muss, dann muss das, was anstelle dessen entstehen soll auch eine Berechtigung dafür liefern. Und das tut es einfach nicht! Dafür hat doch kaum einer Verständnis. In Zeiten von Haushaltssperren für die Hochschulen könnte man das Geld ja vielleicht auch sinnvoller nutzen... aber davon mal ganz abgesehen...
Man hat den Eindruck, dass sich in Deutschland so langsam der New Urbanism aus Amerika breit macht. Am liebsten zurück zur vermeindlich "gewachsenen" Kleinstadt mit mittelalterlichen Strukturen - auf jeden Fall muss es "hübsch" aussehen...
Ach ja.... stööhhhn

Grüße, Samy

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stefwilde is on a distinguished road

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Datum: 06.03.2003
Uhrzeit: 22:06
ID: 1339



Histo-Nationalisierung... #4 (Permalink)
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Tja , vermutlich geht es einfach nur um ein krampfhaftes Wiederaufbeschwören der so "guten alten Zeit", der Versuch irgendein Nationalempfinden wieder aufzubeschwören und dem "allgemeinen Büger" vorzugaukeln wie gut es uns Deutschen doch geht, dass wir sogar Schlösser bauen können.
Und dieses besondere Schloss hat vormals ja schon das Stadtbild Berlins stark bestimmt und verkörpert ein solches Nationalempfinden besser als alles andere.

Ich fürchte nur, der "allgemeine Bürger" begeistert sich auch noch für solche Projekte...
Vielleicht ist ja die Architekturausbildung so elitär geworden, dass sie völlig am allgemeinen Geschmack vorbeizielt!?

Was soll nur aus uns werden? Fehlausgebildete Häuslebauer, Mißverstande Entwurfsgenies? Wie groß ist der Kreis, der unsere Sprache versteht, im Vergleich zum Ganzen???

Gruß, das Stef :rolleyes:

Geändert von stefwilde (06.03.2003 um 22:09 Uhr).

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Datum: 06.03.2003
Uhrzeit: 22:20
ID: 1340



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Das gefällt mir - lauter mißverstandene Entwurfsgenies !

Im Ernst, seit ich Architektur studiere, sehe ich so manches Gebäude mit ganz anderen Augen. Früher fand ich's scheußlich - heute ist es dann halt "interessant"... vielleicht sind wir wirklich ziemlich allein mit unserer Art der Wahrnehmung. Die Architekten haben ja schon lange so eine platonische (war doch Platon ?) Einstellung - auch wenn es keiner laut ausspricht - daß die "Elite" das sagen haben muß und dem gemeinen Pöbel erst mal zeigen muß, was eigentlich guten Geschmack ausmacht.
Ich finde das immer sehr zwiespältig. zum einen denke ich schon oft "wie kann man nur", zum anderen ist Architektur ja irgendwie schon auch etwas, mit dem jeder konfrontiert wird und daher muß es in gewissem Maße ja auch "demokratisch" passen. Das soll aber nicht heiße, daß nun Gleichmacherei einziehen soll oder immer alles jedem gefallen muß. Wenn Architekten sich mit ihren Werken allerdings nur noch selbst genügen, dann läuft doch auch was falsch, oder?

...eben lauter mißverstandene Genies ....

Samy

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Datum: 06.03.2003
Uhrzeit: 22:42
ID: 1341



Architekturbrille #6 (Permalink)
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Tja, ich hab irgendwie das Gefühl, dass uns im Studium eine Brille aufgesetzt wird, mit der wir dann eine "schöne" (was auch immer das heißen mag) Wirklichkeit sehen, die aber "in Wirklichkeit" gar nicht so ist...

Trist, trist, meine Laune heute - - - sorry, kurz vor der Entwurfsabgabe, you know...

Naja, aber vielleicht ist unsere Aufgabe auch schon erfüllt, wenn eine unserer Arbeiten nur einige wenige Menschen interessiert oder gar glücklich macht...
Man kann es ja schließlich nie allen recht machen.

Es mag ja auch nicht jeder Mozart...

Gruß, das Stef

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jcr
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Datum: 11.03.2003
Uhrzeit: 21:51
ID: 1361



Re: Architekturbrille #7 (Permalink)
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Liebe Kollegen,

freilich ist gerade die Elitarismus-Frage diejenige, die sich alle von uns schon einmal gestellt haben. Ich erinnere mich noch sehr gut an meine erste Vorlesung, ich dachte ich säße im falschen Film. Das hat sich inzwischen relativiert. Die Frage ist jedoch eher: wo fängt Architektur an, elitär und für die breite Masse unverständlich zu werden? War das Berliner Schloß (BS ) früher nicht auch elitär, kein Objekt des „gemeinen Volkes“, ebenso die noble Bebauung am Dresdner Neumarkt? Ist es so, daß die Zeit und die geschichtliche Betrachtung von Architektur popularisieren, de-elitarisieren? Es scheint fast so, denn etwas überkommenes gehört zwangsweise zur Vergangenheit aller. Insofern stellt sich die eingangs erwähnte E-Frage für uns nicht in diesem Maße. Angemerkt sei auch daß faktisch im Schulsystem nicht architektonisch gebildet wird. Ich verweise auf Sack, Manfred: Von der Utopie, dem guten Geschmack und der Kultur des Bauherrn oder Wie entsteht gute Architektur? , Solothurn o.J. Wo wird architektonisch, und allgemein ästhetisch erzogen? Manche zögern beim Auto- mehr als beim Hauskauf.
Das ist selbstredend nicht auf die Architektur beschränkt. Der Kreis der Konsumenten neuer Musik (nein, nicht „Superstars“) wie z.B. W. Rihm ist sehr beschränkt, in der bildenden Kunst sieht es nicht viel anders aus. Das Fertighaus auf der grünen Wiese und das BS (nicht an sich, sondern im aktuellen Kontext als Fassaden-Fälschung) sind damit die architektonischen Patrick Lindners etc etc. E-Architektur und U-Architektur? Angesichts der Arbeitsmarktsituation ist diese Unterscheidung fast schon Selbstmord, aber sie scheint mir den realen Gegebenheiten zu entsprechen. Der Konflikt dieser Situation ist mir bewußt, natürlich auch das Problem des Aufdrängens und der Vermittelbarkeit. Architekturtheoretische Schriften über die Jahrhunderte verteilt heben immer wieder die Relevanz unseres Standes hervor.

Zum Nationalempfinden des BS: Ich denke das ist nur bei einem kleinen Kreis der Unterstützer das ausschlaggebende Argument. Bei den meisten ist es ein „ästhetisches“. Interessant auch der Meinungsumschwung im Laufe der Zeit. Der Palast der Republik hatte einmal eine stabile Mehrheit in Umfragen. Ob das nur der Ostalgie-Bonus war? Rennen Hunderttausende in den Reichstag wegen des schwülen Neobarock oder Fosters Kuppel? Die anfängliche Euphorie über den Potsdamer Platz (die sich verständlicherweise relativiert hat)? Gehry in Bilbao ist auch populär, auch die neueste Pinakothek hier in München. Es ist vielmehr eine Verkaufsfrage: Wer das Bauchgefühl trifft oder laut genug schreit hat gewonnen.



Viele Grüße,
jan


P.S. War leider eine Woche nicht da, sonst hätt ich früher geschrieben.

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Datum: 12.03.2003
Uhrzeit: 19:18
ID: 1364



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jaja, der fachmann staunt - der laie wundert

aber nicht vergessen:

"nur wer provoziert kann auch begeistern"
martha schwarz

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Datum: 03.05.2003
Uhrzeit: 20:37
ID: 1653



Stadtschloss #9 (Permalink)
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Hallo Leute,

ich bin durch Zufall auf diese Seite gestossen und selbst kein Architekt.Ich mache mich aber schon länger für traditionelles Bauen und Rekonstruktionen stark.
Ich finde die Diskussion über elitäres Denken in der Architektenschaft sehr
bezeichnend,da viele Leute mittlerweile diese Auffasung vertreten.
Da kann man unendlich viel schreiben,gerade aber im Kontext der immer stärker
werdenden Vereine für Rekos und der Diskussionen in Zeitungen wie der Welt und der Zeit besteht für die Architektenschaft aktueller Handlungsbedarf.
Warum herrscht die Auffasung vor,dass Architektur provozieren muss und Brüche verursachen muss,um gut zu sein?
Warum sind Ornamente Verbrechen?
Warum soll das Gegenteil dieser beiden Aussagen spiessig sein?
Das sind die zu klärenden Knackpunkte des ganzen Problems.
Bauen Architekten nicht für Menschen,sondern für die Bewunderung durch ihre Kollegen? Gehört nicht eine Spur Demut und Unterwerfung unter bestehende Harmonie dazu,wenn man einen Füllbau in ein Altstadtensemble setzt?
Ist ein Glaskasten neben einem Barockbau wirklich spannend oder sogar innovativ?
Ich jedenfalls finde sowas geradezu hässlich!!
Noch ein Klischee,was sich immer wieder bewahrheitet: Meine Freunde,die Architektur studieren,wohnen selbst immer in Altbauten,obwohl sie den Bau solcher ablehnen.Komisch??!! Wieso eigentlich,wenn es doch so schön ist?
Bin gespannt auf Antworten.

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Datum: 03.05.2003
Uhrzeit: 21:48
ID: 1657



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Also ich wohne in einer Platte und kann ganz gut damit leben.

Mir scheint fast dies ist die Woche der Rekonstruktionsfreunde bei tektorum.de. Als hätte man sich hier verabredet, die Architekturstudenten darüber aufzuklären, daß es vor ihrer Geburt so viel Schöneres gegeben hat.
Ich versichere, die meisten wissen das und haben sich ausgiebig mit Architektur, Literatur und Ideologien der letzten Jahrhunderte beschäftigt, sind aber dennoch zu dem Schluß gekommen, daß alles jammern um der guten alten Zeiten doch nichts nützt. Wir können die Uhr eben nicht zurückstellen. Und ich will das auch gar nicht.

Und um auf die ach so beliebten Altbauten zurückzukommen - ich möchte zu deren Entstehung in der Gründerzeit nicht dort gelebt haben müssen!
Natürlich in ihrer heutigen Großzügkeit und Flexibilität bieten sie viele Vorzüge, die Architekten schon oft ihn ihre Planungen für Neubauten integrieren wollten, die aber meist an dem Willen der Bauherren scheitern, denen ein Geschoß mehr (und damit mehr Miete) mehr am Herzen liegt als unser Proportionsdrang oder Raumgefühl. Im Grunde sind wir heute doch oft "nur" Dienstleister und damit den Wünschen unserer Kunden verpflichtet. Wenn man gute Überzeugungskraft leistet, kann man vieles retten, aber vieles eben auch nicht... Im übrigen sind diese hohen Räume im Wohnungsbau unter energetischen Gesichtpunkten auch nicht mehr gut zu vertreten.

Was den Schloßplatz angeht, so muß es ja kein Glaskasten sein, aber etwas meh Einfallsreichtum als eine Fassadenkopie könnte schon sein. Jcr hat sicher recht, wenn er sagt, daß sich nach der Überwindung historischer Phasen plötzlich alle Gesellschaftsschichten sogar mit Herrenschlössern identifizieren können. Vielleicht liegt ja auch der Wunsch darin begraben, Teil dieses elitären Etwas sein zu können (so wie unser bereits erwähntens Superstarphänomen ).
Ich gestehe ich bin nicht sonderlich sentimal in diesen Dingen. Schließlich fahren wir heutzutage ja auch mit Auto oder Bus zur Arbeit und nicht mit der Kutsche, obwohl das sicher viel "schöner" wäre, oder?

Grüße, Samy

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Datum: 03.05.2003
Uhrzeit: 22:29
ID: 1658



Stadtschloss #11 (Permalink)
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Nun,da hinken einige Vergleiche.
Ich bin zwar auch kein Monarchist,aber die Aussage,man wolle auf keinen Fall in jener Zeit leben,zeugt auch von mangelnden Geschichtskentnissen.
Die Gründerzeit war eine Zeit des Aufbruchs.Deutschland war damals sehr innovativ,da wurden Unternehmen gegründet,die heute zur Weltspitze gehören wie
Siemens,Krupp,Daimler-Benz,Bosch,Allianz usw...
Erfindungen und Entdeckungen: Carl Benz erfand in Mannheim das Auto, Siemens den Elektromotor, Graf Zeppelin das lenkbare Luftschiff. Das
Haber-Bosch-Verfahren verbesserte durch die Kunstdüngerproduktion die Welternährunglage völlig. Einstein arbeitete in Berlin an der
Relativitätstheorie, Max Planck forschte ebenfalls in Berlin.
Max Weber in Heidelberg war einer der Begründer der Soziologie. Nietzsche überragte die Philosophen seiner Zeit. Von 1900 bis noch 1930 ging
jeder dritte Nobelpreis nach Deutschland.
Übrigens lebt auch heute halb Europa noch in einer konstitutionellen Monarchie
und die Menschen identifizieren sich auch damit.
Ich finde unsere Republik dennoch sehr lebenswert,aber bei zwanzig Jahren
Reformstau und über 4 Mio Arbeitslosen brauchen wir nicht naserümpfend auf
unsere Vergangenheit schauen.Jetzt bin ich aber vom Thema abgewichen,es geht
um ästhetisches Bauen,da habe ich noch keine Antworten,ausser der Bauherr sei
schuld.

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Datum: 03.05.2003
Uhrzeit: 23:02
ID: 1659



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Das bezog sich auch auf die Lebensqualität in den Mietskasernen. Und wenn Du behauptest, daß sei lebenswert gewesen, dann solltest Du mal nachlesen, wie es dort zuging.
Es geht nicht darum, welche Zeit innovativer ist. Abgesehen davon wird es ja auch immer schwieriger "das Rad neu zu erfinden". Das will ich auch gar nicht.
Ich will auch gar nicht die Verantwortung abschieben. Zum ersten bin ich nicht der Meinung mich oder zeitgenössische Architekten für irgendwas entschuldigen zu müssen, zum zweiten ist es aber eben so, daß ein Maler, ein Bildhauer, ein Fotograf nur die Grenzen seiner eigenen Phantasie hat (und vielleicht noch die des Materials). Der Architekt aber unterliegt ganz klaren Regelungen, Gesetzen und eben auch dem Willen des Bauherrn. Diese Gesetze sind dazu da, sicheres Wohnen, Nachhaltigkeit und ein Mindestmaß an Qualität zu garantieren. Das es dabei manchmal von hinten durch die Brust in Auge zugeht, mag sein. Verbesserungen sind erwünscht. Aber dem kann sich kein praktizierender Architekt entziehen. Und so schön auch mancher Entwurf gedacht war, nach Prüfung durch die Behörden, die Statiker und die Bauherrn bleibt oft nur spärliches davon übrig. Ein guter Architekt ist der, der es von Anfang an schafft, all diese Faktoren einzugliedern und dennoch attraktiv zu bauen.

Ergänzend sei noch gesagt, daß ich sehr froh bin, daß die Zeiten der Monarchen und Führer in unserem Land endgültig vorbei sind. Aber es scheint, daß manche die Freiheit und die Pflichten einer Demokratie gar nicht aushalten können. "Früher war eben alles besser". Und wenn man beim Anblick der momentanen Wirtschafts- und Arbeitslage mit einem Blick über die Schulter antwortet und sich and alten Strukturen festklammern will, wird es sicher auch nicht besser werden ...

Für mich jedenfalls sind Schlösser nachwievor Ausdruck einer historischen Zeit, die halt vorbei ist und die auch durch den kompletten Wiederaufbau eines Stadtschlosses nicht zurückkommen wird.

Samy

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Datum: 03.05.2003
Uhrzeit: 23:07
ID: 1660



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Es wurde zwar nur kurz angerissen, aber viele Gründe, warum wir heute nicht mehr so bauen können wie von 100 Jahre liegen in unserer Verantwortung zukünftiger Generationen gegenüber.
Ich finde die hohen Decken der Altbauten auch wunderschön, aber energetisch sind sie unverantwortbar. Bei 3,80 m hohen Decken muss einfach ungefähr ein drittel mehr geheizt werden. Solange wir keine wirkliche alternative zu Kohle, Öl und Gas haben, ist das ein Problem.

Eine andere Sache ist die, dass wir heute in der Regel nicht mehr Stein auf Stein bauen, sondern mit Beton - warum? Weil es kostengünstiger ist - zumindest bei größeren Gebäuden. Nun könnte man hingehen und vor die Dämmung statt nur einfach Putz, Stein, Metal oder was auch immer auch noch "hübsche" Verzierungen anbringen, aber das wäre ein reines Schmücken des Hauses. Da wäre die Frage an die späteren Bewohner, ob sie bereit sind für den hübschen Schmuck an der Fassade auch einige hundert Euro mehr Miete zu zahlen.
Den Schmuck kann man natürlich auch kostengünstig produzieren, dies hat man ja in Ost-Berlin zur 750 Jahr-Feier vorgemacht, dass das aber wirklich schön ist, bezweifele ich.

Die Fassaden der 70er sind zugegebenermaßen häufig wirklich schlimm. Aber viel Architektur der letzten Jahre finde ich hervorragend. Und ich bin froh, dass viele Fassaden mit Ihrer Schlichtheit Ruhe ausstrahlen, der Trubel auf der Strasse ist groß genug, da brauche ich nicht auf jeder Fassade auch noch Trubel. Was für ein Stadtbild wäre das, wenn jedes Gebäude versuchen würde das am schönsten geschmückte Haus zu sein.
Ich bin mir übrigens auch sicher dass es zur Gründerzeit auch viele Bausünden gab, nur auch die werden es nicht überlebt haben - genauso wie viele Gebäude unserer Zeit hoffentlich bald abgerissen werden. Aber es ist mit Sicherheit keine Lösung alles, was einem gerade nicht passt abzureißen, das hatten wir ja in den 60er und 70er Jahren zu genüge.
Jedes Gebäude ist ein Zeuge seiner Zeit und die Mischung macht den Charakter und Charme einer Stadt aus. Häuser wie im vorletzten Jahrhundert zu bauen, entspricht nicht unserer Zeit und wird den Charme unserer Städte auch nicht erhöhen.

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Datum: 03.05.2003
Uhrzeit: 23:37
ID: 1661



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Tja,genau das ist das Problem.
Wie schafft man es, unter diesen Vorgaben wie Kostendruck,sparsamer Heizung und
feuerpolizeilicher Auflagen Bauwerke zu kreiren,die trotzdem ästhetisch sind?
Ich wünsche mir auf jeden Fall mehr Schmuck an den Gebäuden,mehr Individualität
und mehr Phantasie.
Glatte Fassaden strahlen für mich keine Ruhe aus,sondern wirken nur kalt und abweisend.
Deshalb fahren Menschen,die in ihrem Urlaub Abstand von ihrem Alltagstrubel nehmen wollen,auch in die klassischen geschichtsträchtigen Metropolen wie
Florenz,Prag,Paris usw...Die Ästhetik vergangener Zeiten gibt den Menschen
Zufriedenheit.
Wie war der Ausdruck einer gewissen Architektur-Denkschule:
Glotzt nicht so romantisch?
Da sieht man es mal wieder.Wenn ich modernen Städtebau gut fände,müsste ich konsequent sein und mit Bewunderung in den Augen Städte wie Dortmund oder
Kassel durchstreifen.Das machen nicht mal die Architekten,die findet man nach
erfolgreicher Karriere im renovierten Bauernhof in der Toscana.
Die Architektur in reinen Wohnsiedlungen hat sich deutlich verbessert.Da gibt es
mittlerweile tolle Beispiele.Für eine gewachsene Innenstadt gibt es noch keine
befriedigenden Lösungsansätze.Da baut jeder,was er will,ohne Rücksicht auf den
Kontext.Die Architekten müssen zur Kenntnis nehmen,das die Menschen in Europa
ihre Altstädte lieben,von Lissabon bis Tallinn.Sie hegen und pflegen sie und da,
wo sie nicht mehr sind,werden sie schmerzlich vermisst (z.B. Berlin, Frankfurt/Main, Stuttgart usw...).
Das hat nichts mit dummer Nostalgie zu tun.Es ist übrigens lustig,das Reko-
Befürworter die flachen Errungenschaften z.B. deutschen Schlagers genau umgekehrt verwenden.Für uns sind Architekten,die solchen mittelmässigen Entwürfe präsentieren,mit den Nichtskönnern in anderen Kulturbereichen vergleichbar.Pei,Liebeskind oder Behnisch sind für mich nur Schmarotzer,die
immer die Nähe bedeutender historischer Bauten suchen,neben denen ihre
pseudomodernen Glaskisten gut wirken.
Wirkliche Grösse besitzen sie nicht.Und Bauhaus entstand auch in der Kaiserzeit,
als Antwort auf zu überladene Fasaden.Heutzutage entsteht die Reko-Bewegung als
Antwort auf zu glatte Fassaden,die mittlerweile in vielen Grosstädten dominieren.Warum besitzt Kassel keinen Charme,obwohl doch dort alle modernen
Architektur-Richtungen vertreten sind? Vielleicht gerade deshalb?

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Datum: 04.05.2003
Uhrzeit: 11:49
ID: 1662



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Deshalb soll jetzt also so tun, als seine Städte gewachsen? Beim monentanen Wachstumsdruck der Städte - zumindest im ehemaligen Westteil - hat man keine Zeit, Städte wachsen zu lassen, der Bedarf ist akut. Aber das ist wirklich eine Diskussion für den Städtebaubereich.

Vom "Scharotzern" zu sprechen finde ich nicht nur etwas rotzig, sondern auch völlig falsch. Es ist doch angebracht, neben ein wichtiges, pompöses Gebäude nicht noch ein pompöses anzufügen, das womöglich auch gar keine überbedeutsame Funktion beinhaltet. Ich stimme dimi da völlig zu. Wenn jeder nach außen trägt, wie individuell und einzigartig und um wieviel toller er ist als sein Nachbar, dann würden die Straßenfronten schreien.
Ich möchte noch einen Vergleich anstreben, der vielleicht etwas passender ist. Bekleidung ist auch eine Schutzhülle, die in noch viel höherem Maße Ausdruck des Trägers ist, als das Gebäude, in dem er lebt. Manchmal passiert es einem, daß man eine umwerfende Frau auf de Straße sieht, der alle gefangen nachblicken. Wenn ich mir diese Frauen ansehe, so sind sie zwar oft geschmickt, aber nie angemalt - sie unterstreichen lediglich ihre Vorzüge. Sie sind elegant gekleidet, aber nicht unter Rüschen und Mustern begraben. Ein gut geschnittenes Kleid ist hundert mal mehr wert als ein schönes Muster, und ein solches zu entwickeln ist auch wesentlich schwieriger als ein klassisches Kleidungsstück einfach zu bedrucken.
Das soll ja nicht grundsätzlich heißen, daß wir kalte Architektur ohne jedes Ornament propagieren wollen - aber doch bitte in Maßen.

Die Verzierung darf sich selbst nicht genug sein!

Samy

P.S. Im übrigen fahren bestimmt genausoviele Leute nach New York, Chicago oder Tokio in Urlaub.

Geändert von Samsarah (04.05.2003 um 11:52 Uhr).

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