ehem. Benutzer Registriert seit: 18.06.2004
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Beitrag Datum: 16.12.2004 Uhrzeit: 14:55 ID: 6012 | Social Bookmarks: Hat in Deutschland nur bierernste und betont kommerzielle Architektur eine Chance? Wo sind die PERIPHERIQUES, FATs, Lacaton-Vassals oder MVRDVs Deutschlands? Warum gibt es in hier kaum spannende Büros, die es auch mal wagen, zu experimentieren und trotzdem überleben? Ja, ich weiß, aus bunten Statistiken und lustigen Fotos ein Konzept zu entwickeln (a la MVRDV) ist ja nicht jedermanns Sache, aber es ist immerhin ein Ansatz, ein KonzeptfindungsVERSUCH. Lacaton-Vassal gehen einen anderen Weg, sie experimentieren eher auf dem Feld der Materialien, Vorfertigung etc. Und von solchen Büros, die mal etwas probieren, gibt es einige...im Ausland. Schaut man sich die hiesige Architekturlandschaft an: fast nur Bauherren-freundliche, nette, angepaste Architektur. Hier etwas Stahl- und Glas (soll ja High-Tech vorgaukeln), dort etwas Show und da etwas Granitfassade a la Kolhoff (Wir sind ja im soliden Deutschland). irgendwie wird man das Gefühl nicht los, daß hier etwas einfach nur design wird, um es möglichst gut zu verkaufen. Klar, jeder muß schauen, wie er zu seinem Geld=Aufträgen kommt und da bedient man sich des marktwirtschaftlichen Zusammenhangs von Angebot und Nachfrage. In anderen Ländern ist es auch nicht anders, auch da wird in erster Linie Architektur produziert. Es gibt aber immerhin auch noch erfreulicherweise Minderheiten, die zum Experiment bereit sind...und trotzdem nicht untergehen. Bis auf Hild & K mit seinen teils ironischen Ansätzen (Rustikal anmutendes Wartehäuschen aus Cortenstahl, Mahagoniimitatverkleidung für Fassaden des sozialen Wohnungsbaus...) fällt mir da niemand ein. Woran liegt es? Daß es an der andauernden Baukrise liegt, glaube ich nicht. Das war schon früher so, ist jetzt wahrscheinlich nur verschärft. Verstehen sich die Architekten wirklich noch als Baumeister und Handwerker im alten Sinn: Es zählt das Solide, das Bewährte:"Das haben wir schon immer so gemacht". Alles andere ist Kunst, nebensächlich und nicht ernst zu nehmen. Dieses Baumeister-Denken, auf das so viele so stolz sind, zwingt die Absolventen jahrelang in Architekturbüros als bessere Bauzeichner auszuharren. Sie müssen ja noch so viel lernen. Wenn sie ergraut, (aber ganzheitlich ausgebildet!) den Weg zu eigenen Projekten finden, ist der Kreativitäts-Zug oft schon abgefahren. Sind wir tatsächlich so eine technik-orientierte Gesellschaft (im Baunetz-Forum geht es fast nur um Fragen wie: Abdichtung X oder Y) und können mit dem ganzen "Entwurfsgetue" nichts anfangen? Irgendjemand sagte mal, daß die deutschen Architekturzeitschriften eher wie Juristenblätter anmuten -es muß alles schön trocken, sachlich und bewährt sein. Nehmen wir uns selbst zu ernst und haben wirklich keinen Humor: Schaut mal auf die Seite von NL-Architects (haben gerade den NAI-Preis für junge Büros gewonnen mit einer Basket-Bar in Utrecht): http://www.nlarchitects.nl/ oder FAT-London:http://www.fat.co.uk/ Wollen wir nur verkaufen und machen nur das, was Geld einbringt und auch nur solche Architektur. Ist in Deutscland das breite Verständnis für Architektur nicht so ausgeprägt, wie z.B. in den Niederlanden oder einfach nicht vorhanden= die Bauherren nicht an mutigen Lösungen interessiert, die Städte nicht an neuen Vorschlägen, Studien? Liegt es daran, daß man hier bekanntermassen als Architekt erst etwas zählt, wenn man total ergraut ist (Erfahrung und Vertrauen ausstrahlt(- und früher ja sowieso kaum zu eigenen Projekten kommt. Daß man dann weniger Elan hat, etwas Neues zu probieren, liegt ja auf der Hand. Unterstützung von jungen Büros (Quoten bei Wettbewerben, Parzellen innerhalb eines Großprojekts nur für junge Büros) gibt es ohnehin nicht und auch kein Bestreben etwas zu ändern. Die Damen und Herren in den Kammern haben scheinbar nichts gegen die ständigen Bewerbungsverfahren bei den Wettbewerben, so daß junge Leute automatisch ausgeschlossen bleiben. Ja, ich weiß nicht. Tatsache ist, daß es auch hier Büros gibt, die den Experiment-Weg einschlagen (oft weil ihnen mangels Aufträge nichts anderes übrig bleibt, wie die vielen kleinen Gruppen in Berlin).Tatsache ist aber auch, daß sie hier gegenüber den altehrwürdigen Büros kaum eine Chance haben, auch wenn die arch+ schon so etwas wie eine Trendwende einläutet: "Vor allem in der Auseinandersetzung mit der Popkultur, ihrer Ästhetik, ihren Widersprüchen und Erfolgsrezepten werden sich die Architekten aus dem Bann des Baumeistertums erfolgreich lösen und ihren Beitrag zur modernen Kultur neu definieren können.(...) Der Architektenschaft, die nun schon seit geraumer zeit in schrumpfenden Städten und deökonomisierten Zonen die schmerzhafte Erfahrung des latenten Überflüssigseins macht, dämmert es langsam: Nach dem Pop ist Pop: wenn man durch die Scheiße(vulgo:Ökonomie) watet und aufs Gold am Ende gar keinen Wert mehr legt." Eure Meinung zu dem Thema würde mich sehr interessieren! |
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holger: Offline
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Hochschule/AG: Dipl.-Ing.(FH) Architekt Beitrag Datum: 16.12.2004 Uhrzeit: 17:26 ID: 6014 | Social Bookmarks: hallo sputnik, ich finde deinen beitrag ganz gut, weil er in weiten teilen nochmal die situation wiedergibt... ich weiss allerdings nicht, ob das für ganz deutschland stimmt, weil man ja doch hier und da etwas gewagteres sieht und die "deutschen"...wer ist das überhaupt? trotzdem hast du recht. wenn man lange genug in einem land lebt übernimmt man ganz selbstverständlich "manieren" oder aber man bekommt die "deutschen-bierernst-gene" mit !!! wenn man das nicht tut ist man jemand mit sogenannten "anpassungsschwierigkeiten"...ich kenne das! das was du dir in deinem beitrag wünschst läuft meiner meinung nach völlig entgegengesetzt zur aktuellen "architekten-debatte" in deutschland...wenn du mal in die verschiedenen zeitschriften schaust wirst du mehr und mehr bemerken, dass man fast schon einhellig den künstler beerdigen will und nach dem sogenannten "architektur-manager" ruft oder den "dienstleistern" ! ich selber weiss wirklich nicht ganz genau, ob das eine evolutionäre entwicklung ist, oder ob irgendjemand damit angefangen hat(aufgrund der kargen auftragslage) und alle ziehen mit und wollen "bau-manager" produzieren!!! ich möchte das jetzt auch gar nicht bewerten, denn seit 2 jahren schlage ich mich selbst "nur" als dienstleister rum und muss auch bittere pillen schlucken, denn vor allem in der provinz(komme selbst daher) baut man nun mal konform...sonst ist man ja ein SPINNER !!! wir werden wohl abwarten müssen...wenn du mich aber persönlich fragst: ich mag das "manager-gefasel" gar nicht... ...und mir gefällt auch die "basket-bar" ! in diesem sinne...
__________________ ------------------- Schönen Gruß Holger |
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Jochen Vollmer: Offline
Ort: Kassel Beitrag Datum: 17.12.2004 Uhrzeit: 11:43 ID: 6024 | Social Bookmarks: Die der deutschen Architekturdebatte zugrunde liegende Ernsthaftigkeit ist nicht zu leugnen - aber: Ist das in der Tat ein bedauerlicher Zustand? Gegen Ernsthaftigkeit ist generell nichts einzuwenden, ganz im Gegenteil. Spaßarchitektur und -gestaltung (Ohne das ich behaupte Ihr würdet speziell davon reden) haftet in aller Regel Oberflächlichkeit und kurzlebig- keit an. Will man die gegenwärtige deutsche Architektur verurteilen, so ist die Beschränktheit der selben aufzuführen: Deutsche Architektur ist beschränkt auf technische Merkmale. Architektonische Entwürfe sind zu technologischen Produkten verkommen. Entsprechend muss der Entstehungsprozess weniger als Entwurf sondern mehr als Entwicklung bezeichnet werden. Die sinnliche Erfahrung von Architektur spielt in der heutigen Diskussion immer weniger eine Rolle. Eine intellektuelle Qualität ist nicht vorhanden. Deutsche Architektur hält einer geistigen Auseinandersetzung nicht stand. Hier liegt das große Manko. Und hier ist eine Differenzierung anzubringen. Es ist der intellektuelle Gehalt, der fehlt und nicht das 'Abgefahren-sein', nicht das 'Cool-sein', nicht das 'um-jeden-Preis-anderes-/-neu-sein'. Solltet Ihr das meinen, so stimme ich Euch zu! An sonsten geht nach Holland oder sonst wohin! |
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holger: Offline
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Hochschule/AG: Dipl.-Ing.(FH) Architekt Beitrag Datum: 17.12.2004 Uhrzeit: 13:55 ID: 6026 | Social Bookmarks: nein...nein, mir geht es bestimmt nicht um das "anders-sein-um jeden preis"! höchstens um das"uups warum muss man sich denn immer nur anpassen?" aber spaß bei seite. ich habe nichts gegen kompromisse. in deutschland muss man natürlich einige mehr davon machen. trotzdem gehe ich noch nicht nach holland und verfolge weiterhin die hiesige entwicklung. an jochen: ich habe deinen beitrag so verstanden, dass die architektur mit und mit ein technologie-markt wird und, dass man künftig unter umständen wie ein maschinenbauer an die sache rangehen wird, da sich gebäude, wie man unschwer erkennt, immer mehr zu maschinen ausprägen... dem kann man natürlich nicht widersprechen... aber: wie siehst du diese entwicklung? hast du eher "angst" davor bzw. sorgen oder siehst du eine ganz neue chance für "uns"? ich glaube übrigens, dass ich in meinem beitrag das thema ein bisschen verwechselt habe!!! es sind ja eigentlich 2 dinge: - das berufsbild im wandel, weg vom künstlerimage hin zum verwalter und koordinator - und auf der anderen seite, die architektur selbst ...aber das kann man vielleicht gar nicht so sehr voneinander trennen...was meint ihr???
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Dirk [DD-03]: Offline
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Hochschule/AG: Superheld Beitrag Datum: 17.12.2004 Uhrzeit: 13:57 ID: 6027 | Social Bookmarks: Prima, wenn es daran in Deutschland mangelt, dann schwingt euch doch auf zu diesen Höhen, immerhin haben derartige Projekte wenig mit Kommerz, sondern sehr viel mehr mit Idealismus zu tun. Ihr könntet in Tonnen leben und euch revolutionäre Architektur ausbrüten. Im Übrigen: Die Deutschen sind architektonisch gesehen vielleicht zurückhaltender, wie mit so vielen Dingen, aber dass die Intellektualität fehlt, wage ich schier anzuzweifeln. Ihr solltet euch endlich damit abfinden, dass im Zeitalter des Globalismus jedes Land maximal einen Superstar-Architekten stellen kann, und nicht eine wahre Schwämme an Van der Rohes der Neuzeit erwarten. Übrigens halte ich die gläserne Manufaktur in Dresden von meinem Professor Dr. Gunter Henn für ein Stück ausserordentlich intelligente Architektur. Wenn ihr solche Dinge einfach übersehen wollt, bitteschön.:rolleyes: |
ehem. Benutzer Registriert seit: 18.06.2004
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Beitrag Datum: 17.12.2004 Uhrzeit: 16:28 ID: 6029 | Social Bookmarks: @Jochen: Anders/cool sein um jeden Preis, meinte ich natürlich nicht. Es ging um den Versuch, Wege/neue Wege aufzuzeigen, sich Gedanken machen, Ansätze suchen, die unserer Gesellschaft entsprechen. Diese Ansätze können sowohl künstlerisch (wenn dabei etwas "cooles" rauskommt, ist ja auch O.K.), wie auch konzeptionell, soziologisch oder auch technisch. Ich habe in dem vorigen Posting Lacaton-Vassal erwähnt: ich halte zum Beispiel viel von ihren Versuchen, neue Materialien im Bauwesen anzuwenden, neue Systeme zu suchen. Das Neue, das "Formale" ihrer Bauten leitet sich davon ab. Oder PERIPHERIQUES Studien zu günstigem Wohnungsbau, an der ca 30 andere Büros mitwirkten (auch Barkow Leibinger aus Berlin(!)). Die unterschiedlichen Ideen wurden schließlich veröffentlicht. Oder eben die eher intellektuell-konzeptionellen Ansätze von O.M.A Was Du wahrscheinlich meinst). Rem Koolhaas sagtee ja irgendwann, daß er lieber auf ein paar Bauten verzichtet, die er realisieren könnte, wenn er dafür Zeit findet, sich einige Gedanken zu machen, über das von ihm Gebaute und die Ansätze für die Zukunft. Klar, sollen nicht alle Büros diesen Weg gehen, aber ich finde es traurig, daß es in D so wenige sind, die Lust haben, sich Gedanken zu machen. Schade, gerade wo wir doch so viele Architekten hier haben (...und es kann ja nicht jeder bauen) @Dirk(DD-03): Wieso gleich so aufgeregt? Es war keine Rede von neuen Stararchitekten, sondern von Engagement! Wenn Visionen für Katalonien erarbeitet werden (http://www.hipercatalunya.org/), wieso sind mehrere Büros aus dem kleinen Holland dabei, aber nur eins aus D (in Kooperation)? Ich dachte, wir wollen den Architektur-Export fördern, dazu gab es doch Studien in den Kammern, Aber man kann doch nicht nur Geld verdienen wollen, ohne sich international an Debatten zu beteiligen, interessante Konzepte aufzeigen und Ideen präsentieren. Da reichen die Klima-Konzepte für Großbauten nicht aus (die nebenbei nur selten wirklich funktionieren), um die Aufmerksamkeit im Ausland auf sich zu lenken. Grüße! |
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jcr: Offline
Hochschule/AG: Dr.-Ing. Beitrag Datum: 17.12.2004 Uhrzeit: 16:59 ID: 6030 | Social Bookmarks: Zitat:
1. unserer Gesellschaft entsprechen=es wird so Architektur entworfen, wie sich die Gesellschaft bereits darstellt - man bildet also die Gesellschaft baulich ab, vermittelt aber durch das rein Abbildhafte bereits keine Utopie mehr. 2. Was ist unsere Gesellschaft - und was macht sie aus ? Wie können holländische Büros für die - durchaus (noch) anders strukturierte - deutsche Gesellschaft als vorbildhaft erachtet werden? Frohes Fest! | |
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Jochen Vollmer: Offline
Ort: Kassel Beitrag Datum: 17.12.2004 Uhrzeit: 19:40 ID: 6032 | Social Bookmarks: Ich sehe, man hat mich offensichtlich verstanden! Es ist genau das, was ich ankreide: Der Architekturberuf verwandelt sich zum Maschinenbauberuf. Wo der Mensch bleibt interessiert niemanden mehr. Es sei denn, man definiert den Menschen als rein physisches Gebilde, wie es die gegenwärtige Architekturdisskussion (in Deutschland) Tag ein Tag aus tut! Was immer das auch heißen mag: Ist das als Anzeichen der natürlichen Evolution zu deuten? Sollte der Streit zwischen Darwin und Butler zu früh entschieden worden sein? Ist der Mensch lediglich eine Stufe des Evolutionsprozesses, der von dem nun kommenden Evolutionsschritt überholt ist? Selbst wenn, sollten wir uns deshalb gleich aufgeben und in unseren Behausungen auf jede Annehmlichkeit die über das erfüllen unserer physischen Bedürfnisse hinausgeht verzichten? Gruß Jochen |
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holger: Offline
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Hochschule/AG: Dipl.-Ing.(FH) Architekt Beitrag Datum: 18.12.2004 Uhrzeit: 02:41 ID: 6036 | Social Bookmarks: trotz allem darf man nicht vergessen, dass es ja durchaus gegensätzliche strömungen gibt! was ist z.b. mit dem gesamten "wellness-boom" dieser zweig will ja auch gerade von "annehmlichkeiten" bedient werden... ...natürlich ist das nur ein bereich, aber ich sehe in der gesellschaft doch eine große sehnsucht nach diesen dingen. eigentlich sollte es unsere aufgabe sein diesen ur-bedürfnissen eine behausung zu geben...billigen dekorationen sollte da nicht unbedingt der vorzug gegeben werden, aber dann kommt ja wieder der ganze bereich geschmack und "klüngel" dazu! trotzdem bleibe ich dabei... ...die bedürfnisse sprechen eigentlich eine klare sprache und die sogenannten maschinen sollen eigentlich nur als traggerüst des wesentlichen dienen. sicherlich missverstehen manche bauherren und auch architekten das ganze, indem eine maschine zum reinen selbstzweck und zur bloßen demonstranz entwickelt wird.
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archINFORM Registriert seit: 23.08.2004
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archinform: Offline
Ort: Berlin Beitrag Datum: 18.12.2004 Uhrzeit: 16:05 ID: 6038 | Social Bookmarks: ..bei einem Kurzbesuch in meiner Heimat, dem biederen und rechtschaffenen Schwabenländle, nutzte ich vor wenigen Tagen die Gelegenheit zu einem kleinen Ausflug in ein neues Vorortquartier von Stuttgart, den Scharnhauser Park in Ostfildern. Und was hat mich dort erwartet: Nein keine solide Altherrenarchitektur, Baumanager-Produkte oder ähnliches, sondern eine sehr spannende Konversion eines ehem. Militärgeländes mit interessantem Städtebau und architektonisch herausragenden Bauten unterschiedlichster Richtungen. Besonders die wunderbare Schule des Büros Lederer, Ragnarsdottir, Oei und das benachbarte Stadthaus von J. Mayer H. spiegeln die erstaunliche Bandbreite aktueller deutscher Architektur auf internationalem Niveau wieder. Und das nur als ein zufälliges Beispiel (von vielen) aus der Provinz! Anstatt an architektonischer Qualität und Baukultur mangelt's uns meiner Meinung nach eher an Selbstbewusstsein. Aus Mangel an Vertrauen in die eigene zeitgenössische deutsche Architektur flüchten sich stattdessen die Einen in Retro-Märchen, die Anderen werden zu Lemmingen von fliegenden Holländern, Betonschweizern,... ...und beide Flügel vereint durch gemeinsames Jammern, zum Kotzen deutsch ist das! Gruss Sascha Links: Stadthaus Schule |
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Beitrag Datum: 18.12.2004 Uhrzeit: 17:36 ID: 6039 | Social Bookmarks: @archinform Ist denn ein Aufzeigen von Gegebenheiten, die einem mißfallen, sofort mit JAMMERN gleichzusetzen? Wenn es so wäre, könnte ja überhaupt keine Diskussion stattfinden. Oder darf man in diesem Forum nur noch fragen, ob C4D besser als StudioMax ist oder >Wie drehe ich eine Wand in ArchiCad<? Wennja, dann Entschuldigung. Gerade Deine Aussage, daß man in der Provinz durchaus spannende Architekturansätze findet, aber vielleicht zu wenig Selbstvertrauen da ist, um die Ergebnisse einem größeren Umfeld zugänglich zu machen, regt doch schon zum Nachdenken nach: Verkaufen wir uns zu schlecht? Präsentieren, erläutern wir unsere Architekturkonzepte nicht ausreichend -warum machen wir sie durch geeignete Mittel nicht auch der breiten Öffentlichkeit zugänglich (nochmals Beispiel PERIPHERIQUES). Vielleicht trauen wir uns nicht, da die Konzepte ja nicht so wichtig sind wie technische Qualität , optimale Kosten und souveräner Bauablauf. Das andere sind doch alles Entwerfer-Träumereien, nicht wahr? Bloß nicht in Vordergrund bringen. Oder wird man hier einfach in den Architektur-Medien nicht so "gefeiert", wenn man nicht XY heißt und schon seit 30 Jahren baut? Man kriegt eine kleine Projekt-Vorstellung in der db-wie immer ohne +/-, nur schön neutral dargestellt. Wenn es diese innovativen Büros "in der Provinz" gibt, warum spricht man in D vor allem nur von Kolhoff, Gerkan, Ungers, Schneider&Schumacher und den ganzen Drei-Buchstaben-Büros? Gerade um auf dem umkämpften Markt zu bestehen und eine Chance gegenüber den Großen zu haben, braucht man doch eine Bekanntheitsbasis und Reputation. Das wäre auch für den schon angesprochenen Architektur-Export wichtig, auf den seit Kurzem einige Hoffnungen gesetzt werden! Aktuelles Beispiel: Um neue Architektur-Impulse zu setzen, wurde die spanische Architektenschaft um Vorschläge gebeten (von den Madrider Wohnungsbaubehörden), welche ausländischen Architekten gezielt zu Projekten eingeladen werden sollten (Chipperfield, MVRDV, Arets...). Wenn man sich nicht an der internationalen Architekturdebatte beteiligt, nicht durch Ideen und Konzepte auffällt (... auch indem man diese entsprechend erläutert und präsentiert und so Lust auf diese Architektur macht), warum sollte man dabei sein? Grüße! |
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Jochen Vollmer: Offline
Ort: Kassel Beitrag Datum: 18.12.2004 Uhrzeit: 17:56 ID: 6040 | Social Bookmarks: ... der Wellness-Boom! Was soll man dazu noch sagen? Der Ursprung dieser plötzlichen Sehnsucht nach "Annehmlichkeiten" scheint doch genau darin zu liegen, dass unser alltägliches Leben eben diese nicht (mehr) zu bieten hat. Also ergreifen einige Profitgeile die Situation auf und schaffen auch die letzten Annemlichkeiten ab, um sie dann als Erholungsangebot zu vermarkten. Dagegen ist ja prinzipiell auch nichts einzuwenden. Womit ich mich der Frage von JCR zuwenden will: "Was ist unsere Gesellschaft - und was macht sie aus?". Zu diesem Thema hat Peter Gross, ein Schweizer Wirtschaftspsychologe, bereits vor einiger Zeit eine interessante Puplikation mit dem Titel "Die Multioptionsgesellschaft" gemacht. Dem eigentlichen Text sind zwei Zitate vorangestellt: "Alles ist möglich." (Laotse) und "Nichts ist unmög- lich." (Toyota). Und genau hier liegt der Knackpunkt. Es gibt keinen gültigen Maßstab, nach dem zwischenmenschliche Beziehungen bewertet werden. Nichts ist mehr selbstverständlich, wie es noch vor einigen Jahrzehnten war. Heute hat jedes Individuum selbst zu entscheiden, wie es sein Leben gestaltet. Es gibt keine Instanz wie noch im 19. Jahr- hundert die Religion, die gewisse Rahmenbedingungen gesellschaftlichen Miteinanders vorgibt. Erst mal klingt das nach einem sehr wünschenswerten Zustand. Nur ist der Zustand auch ein völlig unbekannter. Niemand oder nur ein verschwin- dend geringer Teil der Menschen weiß damit umzugehen. Bewertungen nach 'gut' und 'schlecht' bzw. 'gut' und 'böse' sind nicht mehr gültig, da ein grundlegender Maßstab fehlt. Die Welt stellt sich lediglich in systemischen Abhängigkeiten dar. Anstelle eines übergeordneten allseits geltenden Ziels (das Erreichen des Paradies´ im Christentum) sind es nun individuell spezifische Zielvorstellungen nach denen Beurteilungen vorgenommen werden. Es herrscht eine unvorstellbare Ratlosigkeit unter den Menschen. Sie wissen nicht was sie wollen. Kein Wunder, ist doch dieses 'wissen-müssen-was-man-will' auch ein Phänomen das erstmals in der Geschichte der Menschheit auftritt. Wie soll man auf Anhieb damit umgehen können, wenn man Jahrhunderte lang quasi fremdbestimmt gewesen ist. Einigen wenigen gelingt das ganz gut und diese wenigen nutzen die Lage geschickt zu ihrem Vorteil. Sie etablieren in immer kürzeren Zeit- Abschnitten neue Moden als Richtlinie für die Übrigen, als Quasi-Religion, als Lebensstilangebot. Zwischen diesen Option besteht dann die Wahl. Verbindlich ist keine von ihnen. Ganz im Gegenteil, sie sind vielmehr gleichwertig nebeneinander. Man kann sich frei entscheiden. Hierin liegt scheinbar auch das bedauerliche deutsche Gejammer. Es zeigt sich ein riesen Angebot an Optionen, jedoch lassen sich nicht alle Möglichkeiten wahrnehmen. Man selbst entscheidet sich für eine Option, bekommt aber immer auch alle anderen Optionen, die man gerade nicht wahrnehmen kann, weil man sich auf eine festgelegt hat, vorgeführt. Die Sehnsucht nach Mehr entsteht. Jedoch ist die zur Verfügung stehende (Lebens-)Zeit begrenzt, so dass man nur eine individuelle Auswahl tatsächlich wahrnehmen kann. Das schafft Unzufriedenheit. Besonders in der Werbung der späten neunziger ist das zu merken. So muss der Werbespruch "Man muss Prioritäten setzen" (Magnum) klar als an das Individuum gerichtete Entscheidungsaufforderung gewertet werden. Er lässt sich auf alle Lebensbereiche übertragen. Die Frage eröffnet sich, wie architektonische Gestaltung darauf reagieren soll? Wie kann Architektur sowohl im Einklang zum biosphärischen System stehen als auch auf individuell gesetzte Prioritäten reagieren? Gruß Jochen |
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holger: Offline
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Hochschule/AG: Dipl.-Ing.(FH) Architekt Beitrag Datum: 18.12.2004 Uhrzeit: 21:36 ID: 6044 | Social Bookmarks: ...ich glaube, dass derjenige architekt der darauf in würdigem maße reagieren kann, entweder noch student ist oder sich bereits in einer privilegierten position befindet...denn: dazu braucht man zeit überlegung und leute die mitmachen und dieser ethik raum geben! wer kann das? jemand von euch? wenn ich mir die gewonnenen wettbewerbe so anschaue, sehe ich meistens entweder "blobs" oder "boxes", die nicht unbedingt mit dem "ort" etwas zu tun haben (mit ausnahmen natürlich!) denen der ort also auch nicht heilig ist! es werden irgendwelche plasmatropfen oder luftschiffe hingeklatscht... weil man das halt jetzt so macht! ich finde auch, dass wir unter einem gigantischen werteverlust leiden. aber man muss schon sagen, dass es heutzutage schon ein luxus zu sein scheint, sich diese gedanken überhaupt zu machen geschweigen denn in die tat bzw. (was unser thema angeht) in stein umzusetzen...oder nicht?
__________________ ------------------- Schönen Gruß Holger |
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Jochen Vollmer: Offline
Ort: Kassel Beitrag Datum: 20.12.2004 Uhrzeit: 17:01 ID: 6060 | Social Bookmarks: Ein Luxus?! Es hat immer schon einer außergewöhnlichen Leistung bedurft, Veränderungen zu bewirken. Reich im umstandssprachlichen Verständnis wird man dadurch selbstverständlich nicht. Vielleicht erhält man sich jedoch sein Gewissen, wenn man selbst nach bestem Wissen und mit entsprechendem Ziel handelt. Wer Reich werden will studiere am besten die derzeit angesagten Themen in den Wissenschaften und paraphrasiere oder modischer beschrieben 'transformiere' sie - in welcher Form auch immer. Erfolg ist dann lediglich eine Frage der Bemühung, vorausgesetzt der Intellekt reicht aus, um die angesagten Tehmen zu erkennen! Mit verantwortlichem Handeln hat das dann allerdings nichts zu tun. Gruß Jochen P.S.: Es ist nicht meine Absicht jemanden persönlich anzugreifen. Sollte sich dennoch jemand auf den Schlips getreten fühlen, bitte ich um Entschuldigung. Auch wenn es hart klingt: Grundsätzlich bin ich der Meinung, man sollte sich in Selbstkritik üben, bevor man für seine eigene Unzufriedenheit die immer-schuldhabende- weil-nicht-greifbare 'Gesellschaft' verantwortlich macht. |
ehem. Benutzer Registriert seit: 01.05.2003
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Oliver: Offline
Ort: Hamburg
Hochschule/AG: Architekturkritiker Beitrag Datum: 09.02.2005 Uhrzeit: 03:11 ID: 6824 | Social Bookmarks: Nun, wenn ich so an den alten Herrn Behnisch (über 80) denke und die anderen ja auch schon fast in das Rentenalter kommen, muss ich Deine Frage glatt bejahen. Wo sind die Leute die mal endlich die "Greisenmoderne" (siehe diesen Welt-Artikel) wegfegen und frischen Wind in die Architekturbranche bringen ? Ich sehe da kaum Leute in Deutschland ! Überall muss der 2.Weltkrieg in der Architektur sichtbar werden bzw. die Brüche dargestellt werden. Ich kann ja verstehen, daß ein vom Krieg gezeichneter Herr Behnisch seine ganz persönliche Geschichte in seiner Architektur verarbeiten möchte. Aber die anderen ? Warum zum Beispiel muss Herr Libeskind nun jedes ältere Bauwerk mit seinen Stahlkonstruktionen durchziehen (siehe Umbau Militärmuseum Dresden) ? Bleiben diese Architekten nicht in der Geschichte stehen ? Haben diese Architekten nur noch das Thema "2. Weltkrieg" ? Bald kommt es mir so vor. Bauhaus-Architektur ist nach 80 Jahren nun auch in allen Formen, Farben und Materialien durchdekliniert worden. Der allergrößte Scherz war vor kurzem das von der "süddeutschen Zeitung" präsentierte "Haus der Gegenwart" ! Es ist glatt eine Kopie des Mies van der Rohe Pavillions von 1929. Good bye Deutschland sage ich da nur ! |
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