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SonjaK: Offline
Beitrag Datum: 20.11.2007 Uhrzeit: 13:16 ID: 26015 | Social Bookmarks: Hallo, ich erstelle einen Fragebogen der das Wissen und die Einstellung bezüglich Sichtbeton erfassen soll. Da ich komplett Laie auf diesem Gebiet bin, hab ich mal ein paar Fragen an die Experten: Wie ist bei Euch die Einstellung zu Sichtbeton? Was spricht für Sichtbeton, was dagegen? Ist ein Sichtbetongebäude in ökologischer Hinsicht bedenklich (ich denke daran das es schwierig wird wenn solch ein Gebäude abgerissen werden soll- Recycling)? Ich fände es sehr interessant mich mit Experten zu diesem Thema auszutauschen. Also wer einen Beitrag liefern kann und möchte, nur zu. Sonja (Psychologiestudentin) |
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mika: Offline
Ort: Berlin Beitrag Datum: 20.11.2007 Uhrzeit: 14:00 ID: 26016 | Social Bookmarks: Bevor ich eine Antwort auf die Frage gebe: besteht nicht die Gefahr, das durch unsere Antworten der Fragebogen zielorientiert wird oder suggestiv wird ? Ich persönlich finde Fragebogen in der Regel meist zu beschränkt, um meine Auffassung abzubilden. Von daher ist mir so eine Frage lieber als ein Fragebogen.
__________________ Grüße Michael "Warum soll etwas nicht so gut wie möglich sein ?" Ludwig Mies van der Rohe, 1964 |
Social Bookmarks: Irgendein bekannter Architekt sagte mal, dass ökologisch bauen, garnicht bauen bedeutet.... Sichtbeton ist auch nur Beton und es gibt kaum ein Haus in Deutschland, dass ohne Beton - zumindest in den Fundamenten - auskommt. Vermutlich sind so manche andere Fassaden-Materialien umweltschädlicher als Beton. Pauschale Aussagen zu Sichtbeton lassen sich schlecht machen. Hier ein paar Infos: 1.) Sichtbeton ist Beton der sichtbar ist - also nicht verputzt o.ä. 2.) Sichtbeton ist nicht gleich glatter "schöngemachter" Beton, auch wenn das meistens gemeint ist, erlebt man sein blaues Wunder, wenn man das so in eine Ausschreibung schreibt. 3.) Sichtbeton sieht nicht immer gleich aus. Der Sichtbeton am Kanzleramt sieht anders aus, als die Betonstehlen des Mahnmals für die Ermodeten Juden Europas. Sichtbeton kann eingefärbt werden oder auch im Rohzustand durch die Wahl des Betons unterschiedlich hell sein. 4.) Sichtbeton bedeutet nicht, dass ein Gebäude monolithisch gebaut ist. Fast immer existiert noch eine Dämmschicht. (-> Kerndämmung) 5.) Sichtbeton kann in verschiedenen Regionen sehr unterschiedlich wirken. In südlichen Ländern, in den es weniger regnet sieht Sichtbeton auch in minderer Qualität länger schön aus.
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mika: Offline
Ort: Berlin Beitrag Datum: 20.11.2007 Uhrzeit: 18:24 ID: 26021 | Social Bookmarks: Meine Einstellung zu Sichtbeton ist wie folgt: interessant, wenn es darum geht eine Oberfläche zu finden, die nicht ständig neu angepinselt werden muss. Der Wunsch einer monolitischen Wand geht natürlich nicht auf, der Eindruck wird trotzdem oft gewonnen. Der Grund ist das Klima in unserer Region (es bedarf einer Wärmedämmung und eventuell einer Hinterlüftung), der Hauptgrund ist aber dass Stahlbeton ob mit Sichtoberfläche oder nicht, kein monolithisches Material ist, sondern ein Composite aus Stahl und Beton. Die Stahlbetonvorsatzschale führt den Wunsch vieler Architekten, eigentlich doppelt ad absurdum. Aber der geringere Pflegebedarf bleibt trotzdem gegeben. Stahlbeton wird oft mit der Deutung, neutral und sachlich zu sein, belegt im Gegensatz z.B. zu Stampflehm oder Holz. Ökologisch ist Stahlbeton an sich nicht besonders. Das liegt vor allem an dem Primärenergiebedarf bei der Herstellung des Betons und des Stahls, aber auch der Aufwand zur Herstellung eines Bauteils, das immer eine Negativform benötigt. Man baut so zu sagen alles zweimal, um es einmal in Stahlbeton zu bekommen. Gelindert wird, dieser Aspekt lediglich dadurch, das die Schalung in vielen Fällen seriell ist und wieder verwendet werden kann (Wobei wirklich gute Oberflächen das eigentlich ausschließen s. Zumthor) Man kann Stahlbeton auch recyclen. Dabei wird das ganze geschredert. Man braucht nicht viel Phantasie, um zu wissen, dass das viel Energie braucht, und auch sehr teuer ist, nicht zu letzt weil es mit sehr viel Verschleiß verbunden ist. In einer Ökobilanz kann man Stahlbeton mit Sichtoberfläche zu gute halten, dass Gebäude, bei denen dieser Baustoff zum Einsatz kommt, oft eine höhere kulturelle Bedeutung oder einen höheren kulturellen Wert haben - nicht nur wegen der Kosten, und damit oft länger stehen, als andere Gebäude. Damit relativiert sich die hohe Primärenergiebedarf über die gesamte Nutzungsdauer solch eines Gebäudes wieder etwas. Wobei Stahlbeton eben auch nicht ewig hält (/ ist), was oft vergessen wird. Stahlbeton an sich hat für Architekten noch einen Vorteil: Man kann damit fast alles machen. Es sind relativ schlanke Querschnitte möglich, höheren Lasten und Momente wird durch bessere Zuschläge (Druck) oder mehr Stahl (Zug) entgegengewirkt. Das läßt einem beim Entwurf lange Spielraum, bevor ein gezeichneter Querschnitt zu klein wird. Man muss nicht viel wissen beim Entwerfen - irgendwie geht es immer mit Stahlbeton. Ich unterstelle mal, dass das bei den meisten der Hauptgrund ist Stahlbeton im Entwurf einzusetzen, und durch eine Sichtoberfläche spart man sich Putz und Anstrich und Wiederanstrich, auch wenn man dabei gerne den mehrschaligen Aufbau verdrängt.
__________________ Grüße Michael "Warum soll etwas nicht so gut wie möglich sein ?" Ludwig Mies van der Rohe, 1964 |
Social Bookmarks: Hallo Sonja, ich hoffe Du berücksichtigst bei Deiner Erhebung auch einen großen Anteil von Laien-Meinungen, denn die Leute hier, also Architekten und Bauexperten, haben i.d.R. eine ganz andere Einstellung zum Thema Sichtbeton als die breite Öffentlichkeit. Sichtbeton wird von zahlreichen Architekten wegen seines hohen handwerklichen Anspruches, seiner Dauerhaftigkeit, Nüchternheit, Klarheit, Massivität, seinen Gestaltungsmöglichkeiten und statischen Eigenschaften regelrecht verehrt. Diese Art der Empfindung für und von Sichtbeton wird Architekturstudenten quasi antrainiert. Laien empfinden Sichtbeton dagegen oft als zu kühl, unfertig, zu hart, zu teuer, düster, ungemütlich oder industriell. Ich denke, wer in Sichtbeton baut, möchte der Nachwelt eine deutliche Marke hinterlassen und findet das was er sich erdacht hat besonders gut und erhaltenswert. Einer dieser Sichtbeton-Jünger. | |
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SonjaK: Offline
Beitrag Datum: 20.11.2007 Uhrzeit: 21:06 ID: 26024 | Social Bookmarks: Ja genau um die unterschiedliche Perspektive von Laien und Experten geht es. Unter Anderem kommen diese Unterschiede durch das große Wissensgefälle zwischen beiden Gruppen zustande. Das die Bauleute von Sichtbeton Ahnung haben setz ich voraus. Nur muss ich den Laien einen Fragebogen vorlegen der alle relevanten Wissensbereiche zum Thema abdeckt. Das zu erhebende Wissensgefälle ist nur das Ausgangsmaterial für die eigentliche Intervention (Laien werden in einem Seminar zur Sichtbetonbauweise informiert). Danach wird erneut gemessen wie Sichtbetongebäude von den Laien bewertet werden. Vielen Dank für Eure schnellen Antworten, hilft mir weiter und gibt neue Ideen. Sonja |
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Kieler: Offline
Ort: Kiel
Hochschule/AG: Architekt Beitrag Datum: 20.11.2007 Uhrzeit: 21:56 ID: 26025 | Social Bookmarks: ja Archimedes hat es gut beschrieben, Sichtbeton ist vielleicht der am meisten polarisierende Baustoff. Eine häufige Frage von Laien (ganz im Ernst): "wann machen die das denn fertig?" Assoziationen zu Bunkern und den oftmals extrem überdimensionierten Fertigbauteilen der Siebziger sind nicht selten und Ablehnung daher auch verständlich. Leichte Schalenkonstruktionen á la Nervi oder Müther haben wohl eher die wenigsten Laien im Sinn. Ein grundsätztliches Problem ist, dass der Architekt sich gern als Protagonist sieht, der Laie aber im Mainstream schwimmt (was eben so angesagt ist). Was der Laie will, ist beim Architekten schon lange out. Sichtbeton ist da keine Ausnahme, und ich bin mir ziemlich sicher, dass Archimedes sich in zehn Jahren wohl selbst nicht mehr als Sichtbeton-Jünger bezeichnen wird |
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